Schiller – Das Interview zur Tour 2024

Foto: Annemone Taak

1 Jahr – 2 Tourneen. So könnte man den musikalischen Jahresplan von Schiller beschreiben, möchte man ihm einen Stempel verpassen. Da lässt es sich sogar verschmerzen, dass Christopher von Deylen 2024 kein neues Album veröffentlichen wird. All Eyes on Clubs und Open Airs, könnte man sagen. In mehreren dutzend Städten im deutschsprachigen Raum kann man Schiller live erleben. „Und dieses Jahr wird alles anders“, hat er mir im gut 60-minütigen Telefongespräch verraten. Warum der Synthesizer- und Sequenzer-Pionier seit Kurzem auch hinter den DJ-Decks steht und worin der Unterschied zwischen beiden Live-Happenings „Sommerlust“ und „Wanderlust“ liegt – diesen Info-Input gibt’s im großen FAZEmag-Interview.

Ende Januar kam sie raus, die neue Technoclub, Volume 71 wohlgemerkt. Sie landete direkt auf der Pole Position der Deutschen Compilation-Charts – und noch heute, Ende März, ist sie im Amazon-Ranking die Nummer 1 im Bereich „Trance“. Schiller als DJ? Das sind ja ganz neue Wege …

Tja, ich lerne halt immer gerne dazu und möchte der Neugier die Oberhand lassen. Wie du weißt, bin ich mit der Musik der 80er-Jahre aufgewachsen. Jean-Michel Jarre, Tangerine Dream, Pink Floyd, Kraftwerk und wie sie alle heißen. Danach, es war im Folgejahrzehnt, habe ich mich Techno und Trance zugewandt, wurde großer Fan dieser Stilrichtungen und habe auch einige Tracks in diesem Segment veröffentlicht. Zugegeben waren sie nicht nachhaltig erfolgreich, aber der ein oder andere Clubhit und Charterfolg war dann doch schon dabei. Es war die Zeit nach „Das Glockenspiel“ und meinem zweiten Release „Liebesschmerz“, die mich veranlasst hatte, nachzudenken. Soll Schiller ein reiner Clubact sein? Kurz darauf, rund um die Jahrtausendwende, standen die Schiller-Platten noch immer in der Kategorie „Trance/Techno“ in den CD-Regalen. Ein Nischendasein, das mir etwas zu unflexibel war. Resultat: Ich habe konsequent – und vielleicht zu konsequent – alles gemieden, was an Techno und Trance erinnerte. Es gab so gut wie keine Uptempostücke und Nummern mit durchgehender Bassdrum. Somit ist das, was mir sehr viel Spaß gemacht hatte, zurückgeblieben: experimentieren und offen sein, Neues wagen. Hinzu kam, dass ich mit dem DJ-Kult nicht allzu viel anfangen konnte. Ich hab’s probiert, aber meine DJ-Skills, eine Vinyl in die andere zu mischen, waren … ich sag mal so: semi-erfolgreich (lacht). Doch dann war das Zeitalter der digitalen Technik geboren – und so befasste ich mich mehr und mehr mit dem Auflegen. Vor allem seit gut zwei Jahren. Dank der digitalen Technik muss man sich jetzt als DJ nicht mehr rein auf die Übergänge konzentrieren, sondern kann den Fokus auf den Spannungsbogen des Sets legen. Das hat ein regelrechtes Feuer in mir entfacht, um parallel zu meinen Konzerten auch als DJ aktiv sein zu können. Bei den Konzerten ist es ja so, dass du von deiner Playlist nicht groß abweichen kannst, zumal bei Schiller vieles mit programmiertem Lichtdesign zusammenhängt. Als DJ kannst du spontan aufs Publikum reagieren. Und das bereitet mir großen Spaß. So spiele ich nicht nur mit Talla 2XLC, dem Erfinder der Technoclub-Compilations, auf Events, sondern wir haben auch eine Reunion der Trance Allstars gestartet.

Die Resonanz auf DJ Schiller?

Unterschiedlich, aber sehr positiv. Zum einen gibt es die Fans der ersten Stunde, die in meinem Alter sind und die mit mir gemeinsam den bisher gut 25-jährigen Schiller-Weg gegangen sind. Sie sind der Grund, weshalb es Schiller heute noch gibt. Das sind Leute, die auch mal auf der Loveparade waren, die den Beginn der Nature One miterlebt haben, die an jedem Wochenende in den Clubs waren, eine Dream Dance oder die erste Technoclub zuhause haben. Diesen Personenkreis konnte ich aufgrund seiner musikalischen Flexibilität mit auf meine Reise nehmen. Sie lassen sich auch auf anderes ein, beschreiten mit mir den Pfad einer Symphonieorchester-Performance wie bei „Symphonia“ oder sind bei den minimalistischen und sehr intimen „Piano & Elektronik“-Konzerten dabei gewesen. Sie sind es, die äußerst positiv auf die Technoclub 71 reagieren, weil sie vielleicht gerade diesen sehr energiegeladenen Sound ein bisschen vermisst haben. Und auf der anderen Seite gibt es die Menschen, die im Laufe der letzten Jahre neu in die Schiller-Sphäre gekommen sind. Sie haben diese Club-Roots nicht inhaliert – und hier habe ich das Gefühl: Die sind ganz schön überrascht, was den – in Anführungszeichen – „neuen“ Schiller angeht. Aber sie erscheinen mir offen und freuen sich über diese Entwicklung.

Vom DJ-Booth zur Club-Venue. Stichwort „Wanderlust“.

Hier bin ich nicht als DJ unterwegs, sondern als „Lord of the Sequencer“, augenzwinkernd gesagt. Ich bringe quasi mein ganzes Studio-Equipment mit auf die Bühne. Es wird ein sehr aufwendiges Musik-Set-up sein, das ich live einsetze. Ich hatte ja vor zwei Jahren mit der „Metropolis“-Tour schon einmal einen Versuch gewagt, dieses Konzept umzusetzen. Kurz vorher habe ich allerdings die Nerven verloren und dachte: „Dann doch lieber mit Band.“. Heute, in 2024, bin ich mir ganz sicher: Für diese Solo-Tour ist genau jetzt der richtige Zeitpunkt. Mit der „Wanderlust“-Tour wird es eine Art Reboot geben, eine Art „Klangwelten 2.0“ mit einer gehörigen Prise Rhythmus on top. Aber nicht falsch verstehen, diese Events werden natürlich kein Dauerrave, aber sie sind schon sehr clubby und energiegeladen. Außerdem werden die Locations unbestuhlt sein, der Sound wird tanzbar. So werde ich auch Titel spielen, die ich live noch nie performt habe. Und wer mich kennt, weiß: Die Tracks unterziehe ich zuvor einem musikalischen Facelift. Auch habe ich die Mash-ups für mich entdeckt.

Zwei Tracks, zu einem vereint.

Genau. Ganz interessant ist: Auf den Playern wird einem die Tonart des Tracks angezeigt. „Ruhe“ ist beispielsweise E-Moll, „Sandstorm“ von Darude ebenfalls. Bei den DJ-Auftritten habe ich dann den Humate-Remix von „Ruhe“ genommen und ihn mit dem charakteristischen Synthiesound von „Sandstorm“ verschmelzen lassen. Bei der „Wanderlust“-Tour wird es aber eher ein Mash-up aus „Ruhe“ und „Das Glockenspiel“ sein, beides E-Moll. Das signifiziert das Konzept eindeutiger. Es gibt viele Dualitäten zu entdecken – und klar könnte man die Tonarten technisch auch anpassen, aber ich bevorzuge dann doch den Originalsound.

Die „Sommerlust“-Tour: das Kontrastprogramm?

Ja, gerne dieser Vergleich. Bei den Open Airs stehen wir als Trio auf der Bühne. Schlagzeuger Martin Fischer wird dabei sein, der aber nicht in klassischer Rockmusikermanier die Drums bedient – im Sitzen –, sondern stehend. Das wird eine tribal-artige Groove-Achse, sehr spannend. Außerdem ist mit Günter Haas ein Gitarrenveteran aus Hamburg mit von der Partie, der dazu noch Bass und Oud spielt. Oud – ein Saiteninstrument aus dem Orient, das sehr komplex zu stimmen und zu bedienen ist. Bei „Klang der Stadt“ auf dem Album „Summer in Berlin“ kam dieses Instrument bereits zum Einsatz und ich habe Günter vorgeschlagen, es live umzusetzen. Das stieß auf Begeisterung. Er besorgte sich sofort ein Oud und beschäftigte sich intensiv damit. Und mit Yalda Abbasi haben wir immer wieder eine Gastmusikerin im Team, die unsere Besetzung harmonisch abrundet.

Apropos Yalda Abbasi und Harmonie …

Ich ahne, worauf du anspielst. Eigentlich sollte ich diesen Sommer auf der MS Europa 2 in See stechen, im Rahmen meines Projektes „Illuminate 2“. Mit an Bord wären gewesen: Yalda Abbasi und ein Contemporary Tanzensemble aus Kyiv. Nachdem eigentlich seit Juli 2023 alles klar war, gab mir Veranstalter Hapag Lloyd im November überraschend zu verstehen, dass Künstler aus „Kriegs- und Krisenregionen” einen „Schatten” auf die Reise werfen würden. Insbesondere hat man sich an Yaldas traditionell inspiriertem Kleid gestört. Daraufhin habe ich dann umgehend die Zusammenarbeit beendet und im Nachgang des Öfteren angeregt, man möge doch meine Absage an die Gäste kommunizieren. Es gab natürlich Menschen, für die „Illuminate 2” der Buchungsgrund für diese Reise war. Dies geschah aber nicht. Nach langem Abwägen habe ich das Ganze dann auf meiner Website kommuniziert. Schade, dass es keinen anderen Weg gab. Gerne möchte ich noch erwähnen, dass ich seit über 25 Jahren mit Künstlern aus aller Welt gearbeitet habe. Ich lasse mit mir für so eine Special-Peformance auf einem Kreuzfahrtschiff über die Setlist oder die Länge des Programms mit mir reden. Musiker und Tänzer aber aufgrund ihrer Herkunft auszuschließen, erscheint mir relativ unangemessen. Zumal Yalda Abbasi bereits seit Längerem in Mainz lebt. Im Iran dürfte sie ja überhaupt nicht auf der Bühne singen, weil sie eine Frau ist.

Umso mehr freuen wir uns auf Yalda Abbasi, dass sie bei den „Sommerlust“-Konzerten dabei ist. Schiller-Fans lieben sie. Nicht umsonst zählen „Das Goldene Tor“ und „Love And Tears“ zu den gefragtesten Live-Songs im Schiller-Universum. Alle Termine findet ihr auf unserer Website. Einfach den folgenden QR-Code scannen.

 

Foto: Annemone Taake

31.05.-09.11.2024 • diverse Locations (Deutschland, Österreich, Schweiz)

www.schillermusic.com