Juliet Sikora – Eine klare Linie

Denkt man an das Ruhrgebiet und die elektronische Szene, die auch im Rest der Republik auf sich aufmerksam macht und immer präsenter wird, denkt man automatisch auch an Juliet Sikora. Die gebürtige Polin gehört zu Dortmund genauso wie der BVB. Doch auch weit über die Grenzen Deutschlands hinaus macht sie seit fast zwei Jahrzehnten von sich reden. Tatsächlich feiert Sikora im kommenden Jahr ihr 20-jähriges DJ-Jubiläum. Bis dahin stehen einige mitnichten uninteressante Projekte ins Haus, darunter zum Beispiel ein Remix für Claptone und eine Tour kreuz und quer über den Erdball. Ein Interview über gestern, heute, morgen und vieles mehr.

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Wir schreiben bereits den Monat September und der Herbst steht vor der Tür. Wie war das Jahr 2018 und speziell der Sommer bislang für dich?

Heißer als die letzten Jahre – somit sind dieses Jahr mal keine Festivals ins Wasser gefallen oder wurden abgesagt. Im Großen und Ganzen bin ich mit dem Verlauf des hiesigen Sommers zufrieden, ich habe viele Open Airs gespielt und bin auch viel draußen in der Natur unterwegs gewesen. Die Sonne habe ich geradezu inhaliert. Einziges Manko bei so einem Wetter: die Lust aufs Studio war doch sehr gedämpft.

Dennoch hast du aktuell ein Release mit Flo Mrzdk auf Kittball draußen. Erzähl uns mehr über das Projekt und diese Zusammenarbeit generell!

Flo ist ein sehr alter und guter Freund, der mich schon fast ein Jahrzehnt freundschaftlich wie auch musikalisch begleitet. Spitzname Flotschek, da er wie ich aus Polen stammt. Wir jammen halt immer wieder zusammen die Nächte durch und im besten Fall kommt so etwas raus wie die aktuelle Nummer „The Get Down“ mit einem unfassbar großartigen Remix von Pete Sabo. Wir haben keinen Druck beim Produzieren, wir machen das, wonach uns gerade ist. Flo und ich haben mehr als einen Ordner voll mit Ideenleichen. (lacht)

In diesem Monat wird ein Remix von dir für Tube & Berger, die Label-Chefs von Kittball, erscheinen – ebenfalls mit Flo.

Richtig, meine Lieblingshirschen Tube & Berger fragten mich und Flo, ob wir nicht zu ihrem Album Remixe beisteuern möchten, und da war einer dieser Jam-Abende mit Flo. Das Ergebnis könnt ihr euch am 21. September auf Beatport sowie Spotify anhören.

Remixe scheinen gerade dein Steckenpferd zu sein. Es stehen ein paar weitere namhafte von dir an, darunter für E Samba und auch für Claptone. Was kannst du uns darüber erzählen?

Oh ja, da sitze ich tatsächlich gerade dran, sowohl an dem für E Samba als auch an dem für Claptone. Die Anfrage für den Claptone-Remix war schon eine sehr erfreuliche Anfrage, mit der ich nicht wirklich gerechnet habe. Da lastet jetzt natürlich Druck auf mir, dass ich was Gescheites abliefere, ich bin aber guter Dinge. Die Kollaboration mit E Samba freut mich ebenfalls sehr. Als der Manager von Junior Jack, Geoff, explizit einen Remix von mir und Return of the Jaded haben wollte, war die Begeisterung groß. Das ehrt einen natürlich.

Zum Ende des Jahres erweckt ihr bei Kittball eure Charity-Compilation „It Began In Africa“ wieder zum Leben. Was hat euch dazu bewegt?

Das stimmt, das hast du richtig mitbekommen. Wir wollten das schon 2017 machen, aber aufgrund von Überlastung durch das tägliche Geschäft bei Kittball, aufgrund der vielen Touren der Jungs und, kurzum, auch Zeitmangel konnten wir es nicht realisieren. Dieses Jahr sieht die Welt ganz anders aus, wir haben neue Mitarbeiter bei Kittball, gute Leute, die uns den Rücken frei halten und somit Freiraum schaffen, um solch ein Projekt wieder zum Laufen zu bringen. Gerade der Afro-House-Boom, der dieses Jahr besonders spürbar ist, hat uns noch mal mehr dazu bewogen.

Gibt es schon konkrete Pläne für den Inhalt der Compilation?

Damit man versteht, was wir da genau machen, umschreibe ich das Projekt kurz für alle, die noch nie etwas davon gehört haben. Wir arbeiten mit dem „African Childrens Choir“ aus Südafrika zusammen. Wie der Name schon vermuten lässt, handelt es sich um einen Kinderchor, der uns Aufnahmen zur Verfügung stellt. Wir fragen dann Künstler an, ob sie einen Remix „spenden“. So ergibt sich aus den Original-Titeln des Chors ein Remix-Album. Dieses wird dann über Kittball veröffentlicht und wir spenden den kompletten Gewinn wiederum an den Chor. Wir sind sehr stolz auf dieses Projekt, da wir mit unseren Einnahmen schon dazu beitragen konnten, dass eine Schule in der Nähe des Krüger-Nationalparks gebaut wurde, um Weisen und hilfsbedürftigen Kindern das Lernen zu ermöglichen. Haltet somit alle die Augen offen und kauft die Titel legal, denn es ist für eine extrem gute Sache.

Respekt dafür an dieser Stelle. Lass uns nun weiter über die Zukunft sprechen: Du wirst 2019 dein 20-jähriges DJ-Jubiläum feiern. Manch einer auf den Dancefloors dieser Welt weilt noch gar nicht so lange unter uns. Wie blickst du auf diese Zeit zurück?

Da wird man schon etwas nostalgisch, wenn man über die 20 Jahre nachdenkt. Es war bis jetzt eine tolle Zeit, aber auch eine harte, denn der Weg war ein steiniger. Ich habe wirklich nichts geschenkt bekommen, mir ist nie irgendwas in den Schoß gefallen. Alles, was ich bis jetzt erreicht habe, kam durch Fleiß, Konsequenz, Durchsetzungskraft und den Glauben an mich selbst. Kaum einer hat an mich geglaubt, vor allem meine Eltern nicht. Daher galt ich lange Zeit als das schwarze Schaf der Familie. Das änderte sich erst, als der Erfolg eintrat und meine Familie so ein gutes Stück gemerkt hat, dass ich es wirklich will und ich alle Anstrengung auf mich nehme, um meinen Traum zu leben. Somit bin ich der Meinung, ich habe das höchste Gut in dieser Arbeitswelt erlangt, ich habe meine Passion zum Beruf gemacht. Sollte ich irgendwann dieses Gefühl verlieren, das mich immer wieder antreibt, muss ich auch damit aufhören. Aber keine Sorge, so weit ist es noch lange nicht.

Die Szene ist im stetigen Wandel – mal positiv, mal negativ. Wie hältst du dir deinen Alltag bezüglich des Jobs über so eine lange Zeit hinweg interessant?

Nach 20 Jahren fällt auch mir das nicht immer leicht – am Zahn der Zeit zu sein oder zu glauben, man wäre musikalisch gesehen am Zahn der Zeit. Ich lasse mich treiben und versuche auch, mich durch neue Künstler inspirieren zu lassen. Ich gehe tatsächlich noch relativ viel privat aus, höre viel Musik und mixe Stücke von anderen Künstlern. Natürlich gefällt mir da auch nicht alles. Ich bekomme es auch gerade sehr zu spüren, dass Techno einen enormen Hype hat und die Musik, die ich mache und spiele, dann vielleicht gerade nicht en vogue ist. Aber ich spiele das, was mir gefällt, und werde mich nicht wieder von einem Trend leiten lassen, der mich musikalisch in ein Sackgasse führt. Den Fehler habe ich in der Vergangenheit schon mal gemacht und dafür Federn lassen müssen. Da heißt es dann mal eine Zeit lang: Arschbacken zusammenkneifen. Fakt ist aber, dass ich mit der Strategie bis jetzt sehr gut fahre.

Du bist, wie viele wissen, ja nicht nur DJ und Produzentin, sondern auch für die Label-Arbeit bei Kittball zuständig. Was steht beim Label in den nächsten Wochen und Monaten noch an?

Gerade passiert da extrem viel. Wir haben uns neu aufgestellt. Sagen wir so: Das Schiff wurde bereinigt und nimmt wieder Fahrt auf. Aktuell ist meine absolute Neuentdeckung Black Girl / White Girl mit einem Release inklusive eines Remixes von mir. Wie schon angesprochen, kommt die E Samba mit Remixen raus, unter anderem mit Josh Butler an Bord. Viele Newcomer mit wirklich großartiger Musik. Musikalisch werden wir in den nächsten Monaten wieder eine klarere Linie fahren, ein bis zwei Releases brechen noch etwas aus dem geplanten Rahmen, aber wir wollen wieder für den Kittball-Sound stehen, für den man uns kennt und für den wir seit jeher stehen. Daher haben wir uns auch dazu entschieden, ein Sublabel zu gründen – eine Spielwiese für den neuen Sound, den wir nicht auf Kittball sehen. Das Label hat den Namen ZEHN. Das erste Release kam von Djuma Soundsystem mit einem Remix von Habischman. Das nächste steht schon in den Startlöchern und ist geplant für Ende September, eine EP von Betoko.

Wir sind sehr gespannt. Welche Highlights erwarten dich in den nächsten Wochen und Monaten?

Ich bin immer ganz nervös, zu sehen, wie sich meine Musik da draußen entwickelt, vor allem der Remix für Claptone wird mich wohl noch richtig Nerven kosten. Ich habe gerade ein paar Nummern fertig und schaue, wo ich diese unterbekomme. In Sachen Shows freue ich mich besonders auf meine Tour in die Dominikanische Republik samt angeschlossener Süd- und Mittelamerika-Tour wie auch ein paar geplante Gigs in Indien.

Dortmund for life. Wie hat sich der Ruhrpott in den letzten Jahren in deinen Augen entwickelt, was die Szene angeht?

Nachdem in den letzten zehn Jahren extrem viele Clubs schließen mussten, rührt sich wieder was im Untergrund. Sehr junge kreative Kommunen machen auf sich aufmerksam und schwimmen dabei gegen die bekannten Strukturen. Eine sehr interessante Entwicklung. Ich denke allerdings, dass dies auch dazu führen wird, dass alteingesessene Clubs, die eine Weiterentwicklung verpennt haben, an Attraktivität einbüßen und am Ende die Verlierer sein werden. Eine spannende Zeit steht uns hier bevor.

Kittball und du seid ein wichtiger Bestandteil der Szene in Deutschland, neben dem Label macht ihr auch zahlreiche eigene Veranstaltungen. In Deutschland sprießen Festivals nur so aus dem Boden, viele überleben dabei leider nicht. Wie siehst du die Event-Entwicklung auf dem Markt aktuell? Viele haben das Gefühl, dass versucht wird, die Schlagzahl an Eindrücken immer mehr zu erhöhen – und als würde sich der Fokus immer mehr wegbewegen von einer normalen „Clubnacht“ mit einem Headliner.

Diese Entwicklung beobachte ich schon länger. Die klassische Clubkultur stirbt meiner Meinung nach aus. Es geht nicht mehr darum, sich vom Sound treiben zu lassen, frei zu sein und den Moment zu genießen. Ich habe das Gefühl, die Gäste erwarten eine Steigerung nach der nächsten, was natürlich in einer regulären Clubnacht ohne Pyrotechnik, Lichtshow etc. nicht so einfach umzusetzen ist wie auf einem guten Festival, wo man einen Overload an Eindrücken serviert bekommt. Wiederum sind die Gäste dort auch oft so gestresst, weil sie von einem Highlight zum nächsten hetzen, um bloß nichts zu verpassen. Wie Carl Cox kürzlich erst sagte: „Some of these people have no clue why they are standing in front of these DJs in first place …“ Ich finde das schon sehr treffend formuliert. Denn genau das erlebe ich auch immer wieder. Die schönsten Momente sind die, wenn die Leute nicht zu dir gerichtet stehen, sondern einfach nur tanzen und sich auf die Musik einlassen und sich treiben lassen vom Sound. Als DJ sollte man meiner Meinung nach das Ziel haben, den Dancefloor auf eine musikalische Reise mitzunehmen. Und das braucht Zeit.

 

Aus dem FAZEmag 079/09.2018
www.facebook.com/julietsikoraofficial
Text: Triple P
Foto: Meertasa
 

FAZEmag DJ-Set #78 von Juliet Sikora – ab sofort und exklusiv bei iTunes & Apple Music
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