Eulbergs heimische Gefilde: Rätselhafte Naturphänomene

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Eulbergs heimische Gefilde: Rätselhafte Naturphänomene 

Bei Streifzügen durch die heimische Flora und Fauna kann man merkwürdige Dinge entdecken, die zunächst unerklärbar scheinen. Zottige Kugeln in Rosensträuchern, seltsame Spucke in der Wiese, vogelnestartige Büschel in Baumkronen oder merkwürdige Rillen in Baumstämmen, die wie ein Bart aussehen. Schauen wir uns diese Dinge mal genauer an, um ihre Geheimnisse zu lüften!
An Heckenrosensträuchern findet man manchmal moosartige, grünliche, oft rot überlaufene Kugeln mit haarartigen Auswüchsen. Solche bis zu fünf Zentimeter großen Kugeln nennt man Gallen. Entstanden sind diese Wuchsanomalien durch das Einwirken eines kleinen Insekts: der etwa nur drei Millimeter großen Gemeinen Rosengallwespe. Durch das Injizieren spezieller Pflanzenhormone mutiert der Stiel, meist am Ende einer Sprosse, zu einer solchen Gewebewucherung. Der Lebenszyklus der Rosengallwespe beginnt damit, dass sie mit ihrem Legestachel Eier in eine Blattknospe der Heckenrose ablegt. Nach einer Woche schlüpfen die Larven und dringen tiefer in das Knospengewebe ein. Gleichzeitig beginnt die Pflanze mit der Bildung von Galle, die nun permanent Gewebe und Gashüllen bildet. Die Larven leben in getrennten Kammern und ernähren sich von dem pflanzlichen Gewebe. Im Herbst sind sie ausgewachsen, überwintern hier noch und schlüpfen dann im nächsten Frühjahr als fertige Wespen. Männliche Insekten sieht man übrigens keine dabei, denn wir haben es bei der Gallwespe mit einer sogenannten Jungfernzeugung (Parthenogenese) zu tun: Aus den unbefruchteten Eiern schlüpfen nur weibliche Insekten. Aber das Ganze ist noch viel komplexer, denn die Kinderstube der Gallwespe hat auch Untermieter. Einige davon sind harmlose Mitbewohner, wie etwa die sich ebenfalls vegetarisch ernährende Schwarze Rosengallwespe. Doch die Larven der Rosenschlupfwespe sind keine Vegetarier, sondern ernähren sich von den Gallwespenlarven und töten diese. Sie sind also Parasiten. Weitere sieben Arten verhalten sich ähnlich oder leben ihrerseits wiederum von den Larven der Schmarotzer, sind somit Parasiten der Parasiten, sogenannte Hyperparasiten. In der unscheinbaren Kugel herrscht demnach keineswegs Friede, Freude, Eierkuchen.
Im Volksmund nennt man die Rosengallen auch Schlafapfel, denn man sprach ihnen eine schlaffördernde Wirkung zu, wenn man sie unter das Kopfkissen oder Säuglingen in die Wiege legte. Man konnte sie früher gar in Apotheken kaufen und bis ins 17. Jahrhundert wurden die Gallen als „Zauberkugeln“ angeboten, weil sie vor Behexung und Krämpfen schützen sollten. Ihre Wunderwirkung würden sie nur dann entfalten, wenn man sie vor Sonnenaufgang oder während des Glockengeläutes mit bedeckten Händen gepflückt habe. Verliebte legten sie sich gegenseitig heimlich ins Bett, in der Hoffnung, dass der Geliebte dann treu bleibe. In Schwaben galt der Schlafapfel als Wecker: Legte man ihn sich unters Kissen, konnte man hoffen, am nächsten Morgen pünktlich zu erwachen. Epileptikern reichte man nach einem alten Rezept sieben bis neun „Würmchen“ aus der Rosengalle. Gedörrte Larven aus dem Schlafapfel ins Ohr gesteckt, gekaut oder aber in der Pfeife geraucht, sollten gegen Zahnschmerzen helfen. Auch für Orakelzwecke diente der Schlafapfel. Fand man ihn im Frühjahr, war es ein gutes Omen, fand man ihn im Herbst, ein schlechtes. Über das Dach geworfen, konnte die Galle drohendes Unheil abwenden. Auch der Verlauf eines Jahres wurde in aufgeschnittenen Schlafäpfeln gelesen: Fand man eine Ameise darin, versprach das eine gute Getreideernte, eine Spinne die Pest, Larven wiesen auf eine Maul- und Klauenseuche hin, flog der kleine „Wurm“ gar davon, bedeutete das Krieg.

Im Frühling, entdeckt man in Wiesen häufig schaumige Gebilde (Foto), als hätte jemand ins Gras gespuckt. Im Volksmund nennt man sie auch Kuckucksspeichel, nicht etwa weil sie von ihm stammt, sondern weil sie in der Zeit zu finden ist, wenn der Kuckuck ruft, also im Mai und Juni. Regional hat sie auch den Namen Hexenspucke. Die Verursacher dieser schaumigen Gebilde sind aber im Reich der Insekten zu finden: Schaumzikaden haben hier ihre Kinderstuben errichtet. Würde man die vermeintliche Spucke genauer untersuchen, fände man in ihrer Mitte eine bräunlich oder grünliche Larve der Schaumzikade. Die Larven besitzen am Bauch eine spezielle Atemhöhle. Durch rhythmisches Einpumpen von Luftbläschen und dem Versetzen mit einer eiweißhaltigen Flüssigkeit, welche die Larven aus dem After ausscheiden, wird der Schaum erzeugt. Der Schaum dient der Larve als Versteck vor Feinden und erhält die für ihre Weiterentwicklung nötige Feuchtigkeit und Temperatur. Diese Schaumnester sind sehr stabil, selbst heftige Regenschauer können sie nicht vollständig abwaschen. Die Larve ernährt sich von den Pflanzensäften der Wirtspflanze, die sie mit ihrem Rüssel anzapft. Die Entwicklung der Larven erfolgt in fünf Stadien. Diese gehen über Häutungen ineinander über, ein Puppenstadium gibt es nicht. Als Larve lebt die Schaumzikade etwa 50 Tage. Das erwachsene Tier verlässt dann das schützende Schaumnest, um zu trocknen und vollständig auszufärben. In Mitteleuropa leben etwa 35 Schaumzikadenarten. Ihr häufigster Vertreter ist in unseren heimischen Gefilden die Wiesenschaumzikade. Sie ist meist auf Wiesen-Schaumkraut zu beobachten und brachte der Pflanze so auch ihren Namen ein. Die Wiesenschaumzikade ist übrigens Weltmeister im Hochsprung, übertrumpft sogar den Floh. Im Verhältnis zur eigenen Körpergröße kann kein Lebewesen der Welt so hoch springen wie sie. Das Insekt ist einen halben Zentimeter lang und erreicht aus dem Stand heraus unglaubliche 70 Zentimeter Höhe. Menschen müssten umgerechnet auf unsere Körpergröße etwa 200 Meter hoch springen können, um mit den Zikaden gleichzuziehen. Diese enorme Sprungenergie liefert das hinterste Beinpaar. In diesen Beinen kann die Wiesenschaumzikade wie in einem Katapult Spannung aufbauen und dann schlagartig entladen.

In den Kronen mancher Bäume, meist Tannen und Birken, sieht man kugelige und buschige Wucherungen, die von weitem fast wie Vogelnester aussehen. Besonders im Winter, wenn das Laub fehlt, stechen sie direkt ins Auge. Im Volksmund werden diese Gebilde Hexenbesen oder auch Donnerbüsche genannt. Entstehen tun sie meist durch parasitische Pilze. Bei der Birke etwa durch Schlauchpilze. Während der Hauptteil des Pilzes, das Myzel, in der Rinde der Zweige lebt, bildet er an der Oberfläche der Äste winzig kleine Schläuche aus. Diese führen zu permanenten Wachstumsstörungen, da der Pilz so den Baum immer wieder zum Austrieb und zur Bildung neuer Knospen antreibt. Dadurch kommt es zu einer so genannten Zweigsucht: es bilden sich zahlreiche, dünne, kurze Zweige. Diese Gebilde haben große Ähnlichkeit mit Besen älterer Machart aus einem Stock und Birkenzweigen.
Diese Auswucherungen boten natürlich reichlich Stoff für Aberglaube. Schon bei den Germanen wurden Donnerbüsche um Blitze und alles weitere Böse abzuleiten, an den Giebeln der Häuser und Ställe befestigt. Im Mittelalter erklärte man sich die Existenz der besenartige Gebilde dadurch, dass Hexen in der Walpurgisnacht bei ihren Flügen mit den Besen an den Baumkronen der Birken hängengeblieben seien. Die Birke galt deshalb als hexenabwehrend. Deshalb stellte man aus Birkenreisigen Besen her, mit denen man alles Böse aus den Häusern fegte.

In unseren typischen Rotbuchenwäldern haben die Bäume meist sehr hohe Stämme, erst in dem obersten Drittel beginnen ihre Kronen. An diesen kahlen Stämmen sieht man sehr oft merkwürdige Vertiefungen an der Rinde, die an die Gestalt eines Chinesenbartes erinnern. Die Chinesenbärte sind nichts anderes als Narben des Baumes. An dieser Stelle befand sich früher mal ein Ast, der irgendwann abbrach. Doch die Wunde sah nicht von Anfang an aus wie ein gekrümmter Strich: Am Anfang war sie natürlich rund. Doch der Baum wächst mit der Zeit in die Höhe, wie auch in die Breite, somit wird die Narbe nach und nach in diese spezielle Form gezogen. Am Chinesenbart kann man aber nicht nur erkennen, dass sich hier einmal ein Ast befand, sondern er ist gleichzeitig auch ein Merkmal für die Qualität des Holzes. Denn ein Baum wächst schneller in Höhe als in die Breite. Ist die Wölbung des Chinesenbartes sehr stark, bedeutet dies, dass die Narbe noch recht jung ist, da das Höhenwachstum dominierte. Ist der Chinesenbart weniger gekrümmt, ist die Narbe älter, da nun das Breitenwachstum dominierte. Je flacher der Chinesenbart also ist, desto mehr überwachsen ist der abgebrochen Ast. Und dies freut die Schreiner, da sie bei solchen Stämmen viele schöne Bretter ohne Astlöcher machen können.

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Dominik Eulberg – 
Spülsaum (Traum Schallplatten)

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