Das nicht ganz so geheime Tagebuch des Douglas Greed (Episode I)

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Das nicht so geheime Tagebuch des Douglas Greed: Wie es wirklich ist, ein Album zu machen
Da draußen sitzen Tausende von Produzenten in ihren Kellern, an ihren Maschinen, bei ihren lauwarmen Bieren. Sie raufen sich die Haare, bis die Geheimratsecken Glatzen sind, sie strapazieren ihre Beziehungen, bis die Freundin Ableton von der Festplatte löscht, und sie schicken Bässe durch die Wände, bis die Nachbarn zum Fenstersprung ansetzen.
Doch wenn sie gefragt werden, wie es war, ein Album zu machen, sagen alle immer „war nett … “ oder „hat Spaß gemacht …“ Keiner erzählt davon, wie es ist, wenn man mehrere Monate permanent unter Strom steht und die Nerven so kratzig sind wie Blondinen auf Crystal Meth. Wahrscheinlich liegt es daran, dass die Basis unseres Milieus der Spaß ist. Bei Gothic, Indie und Metal gehören der hängende Kopf und die in der Badewanne geöffnete Ader ja zum guten Ton. Doch wer will schon einen DJ flennen sehen? Gute Laune muss meistbietend versteigert werden!

Nichtsdestotrotz möchte ich, schon alleine wegen des therapeutischen Effektes, meine Erfahrung aus dem letzten Jahr teilen. Schließlich wissen die wenigsten wie es ist, wenn man sich den eigenen Track 1.000 Mal anhört, um dann beim 1.001. Mal zu realisieren, dass die Bassline doch nicht so breit ist wie Abiturienten auf der Klassenfahrt.
Es ist, als wäre man Testperson für ein Medikament, das als Nebenwirkung bipolare Störungen erzeugt. Man befindet sich in einem permanenten Schwanken zwischen Freude und Verzweiflung, Manie und Depression, Sport und Bier. Es ist ein Wechselbad der Gefühle, bei dem jemand vergessen hat den Stöpsel zu ziehen, und nun hinterfragt man in einer lauwarmen Brühe aus Wasser und Eigenurin sitzend jeden Beat und jede Melodie.
In diesem Zustand extremster Angespanntheit reichen die kleinsten Impulse, um dich zusammenbrechen zu lassen. Beim Treppenlauf fange ich an zu heulen, weil die Nachbarin drei Stufen vor mir mit gleicher Geschwindigkeit läuft und unser synchronisierter Klang an den Track erinnert, mit dem ich gerade nicht vorwärts komme. Vor dem Kühlschrank kollabiere ich, weil der Schraubverschluss der Milchverpackung die gleiche Griffigkeit hat wie der LFO meines Synthesizers. Ich versuche, mich mit Listen zu motivieren – den Faden nicht zu verlieren. Nach einer Weile sieht es in meinem Studio aus wie bei einem Serienmörder. Tausende vergilbte Zettel verdecken Wände und Fenster. Zwischen ihnen spannen sich verblichene Wollfäden, die lustlos im Raum hängen wie Texaner nach der Hinrichtung.
Eine Liste Beats.
Eine Liste Tracknamen.
Eine Liste Easylistening.
Neben all dem Wahnsinn, all dem Ying und Yang der eigenen Verfassung, kommt hinzu, dass Freunde anfangen, Ratschläge zu geben. „Mehr Dancefloor … Mehr Pop … Meersalz!!!“ Natürlich weiß ich zu schätzen, dass sie mich an ihren Erfahrungen teilhaben lassen möchten. Doch schon früher glaubte ich meiner Mutter nicht, dass Bügeleisen nicht zum Spielen sind. Man muss seine Erfahrungen selbst machen, auch wenn sie Abdrücke im Gesicht des Bruders hinterlassen. So versuchte ich, mich so weit wie möglich abzukapseln und gegen Ratschläge resistent zu machen. Monate der Unrast, der Schlaflosigkeit und der ledrigen Augenringe begannen.
Um nicht vollkommen durchzudrehen, dokumentierte ich diese Zeit und schrieb einen monatlichen Bericht, den ihr in insgesamt vier Episoden lesen könnt. Unkorrigiert, ungekürzt und unkorrigiert.

Episode I
JANUAR 2013

Ein frisches Jahr präsentiert sein jungfräuliches Gesicht und ich bin geneigt ihm einen Bart zu malen. Lege dich nicht schlafen, unbeflecktes Ding. Dougi hat viel vor! Mein Bierbauch muss sterben und ein neues Album soll leben. Ein Vorhaben – Ein Jahr. Mein erstes Album “KRL“ war einfach irgendwann da. Nahezu fertig lümmelte es auf meiner Festplatte ohne das ich es wusste. Als mich unser Freude Am Tanzen-Kardiologe, Thomas Sperling, fragte “Dougi, wie schaut es denn eigentlich mal mit einem Album aus?“, inspizierte ich alles, was ich an Skizzen hatte und stellte erschrocken fest, dass das Ding eigentlich nur noch ein paar Tritte benötigte, um das Licht der Welt zu erblicken. Damals gab es eigentlich nie die Absicht ein Album zu machen. Es war plötzlich da, versteckt zwischen Dutzenden von Skizzen und Tracks. Mancher sieht eben den Wald vor lauter Bäumen nicht. Ich sah das Album vor lauter Tracks nicht. Diesmal habe ich das Vorhaben ein Album zu machen ohne dem Glück, dass es bereits von der Festplatte schimmert. Ich stöbere also durch Skizzen, nicke einigen wohlwollend zu während ich andere knisternd im Papierkorb vernichte. Nach der Sichtung des Rohmaterials komme ich mir vor als hätte ich hungrig die Tür eines vollgepackten Kühlschranks geöffnet. Die Zutaten sind da und der Magen knurrt.
Eigentlich kann es los gehen … Aber wo fängt man an? Wie macht man es und wo will man hin? Soll ich eine karrierefördernde Dancefloorbude zusammenkleben? Oder scheiße ich auf alles und mache einfach was kommt – planlos treibend zum Ziel? Ich beschließe ersteres und mache letzteres.

FEBRUAR 2013

Aus gut 80 Skizzen in verschiedensten Stadien (roh, sehr roh, ungeräucherter Tofu) ziehe ich 15 Tracks, von denen ich das Gefühl habe, dass sie zusammen passen. Ich beginne damit sie grob zu arrangieren, sie nochmals auf Herz und Niere zu prüfen. Die Spanne ist breit. Von funktional über emotional bis schal ist alles vorhanden. Das einzige was fehlt, ist eine knackige Death-Metal-Ballade. Ich klemme mir die rohen Werke beim Joggen ins Ohr, lass sie beim Kochen über den Sound meiner Dunstabzugshaube schreien und ärger Freunde mit gebrannten CD’s auf langen Autofahrten. Mit einigen Tracks fange ich liebevolle und leichtbekleidete Beziehungen an, andere Tracks verabscheue ich bereits nach einigen Hörprozessen und mit ein paar Nummern verfalle ich in Hassliebe. Es gibt sie einfach, diese Tracks von denen man selbst nicht recht überzeugt ist oder gar nicht weiß, ob man sie nun unglaublich gut oder unglaublich schlecht findet. Gefährtinnen, die etwas haben – man weiß nur noch nicht, ob es schöne Augen sind oder eine ansteckende Krankheit. Doch es zeichnet sich bereits ab, dass aus meinem Vorhaben, ein funktionales Danceflooralbum zu schmieden, nichts wird. Das Verlangen Songs zu Schachteln ist zu groß. Irgendwie macht es ja auch Sinn: ich würde auch nicht auf die Idee kommen, mir zehn Dancefloortools am Stück und ungemixt anzuhören.
Und überhaupt, drauf geschissen! Es geht um Musik und nicht um graue Konzepte.

MÄRZ 2013

Ich versuche diszipliniert sechs Stunden am Tag im Studio zu verbringen. Gelegentlich mache ich in dieser Zeit auch Musik. Manchmal schiebe ich allerdings nur apathisch die farbigen Klötzchen über den Bildschirm als wäre ich ein Zombie mit Vorliebe für digitales Lego.Doch in kleinen Etappen wächst das Baby und das Studiobier sorgt dafür, dass ich nach einigen Wochen auch so aussehe als gebäre ich es bald.
Ich beschließe mir erst Sorgen um meine Gesundheit zu machen, wenn das Album fertig ist – man(n) muss Prioritäten setzen! Von den 15 Tracks, die ich in der Startauswahl hatte, habe ich mich Joachim Löw-mäßig von sieben Nummern wieder verabschiedet. Seltsamerweise sind die drei Hasslieben in der Auswahl geblieben. Ich rede mir ein, ich sei ein guter Trainer und besitze das erforderliche Fingerspitzengefühl, das es mir erlaubt jenes „Je ne sais quoi“ zu erahnen, wo es noch nicht mit dem Ohr erkennbar ist. Nun habe ich also acht Nummern übrig und entscheide mich, diese komplett fertig zu machen, bevor ich einen neuen Track beginne. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen! Es erfordert von mir natürlich eine gewisse Disziplin diesen Beschluss durchzuziehen. Viel zu verführerisch ist das Verlangen neue Sachen anzufangen, statt sich mit dem lästigen Arrangement zu befassen.
Das schöne am Musik machen, der fließende Prozess in dem der Kopf ausgeschaltet ist, sind nur gefühlte fünf Prozent der Zeit, die ich mit einem Track verbringe. Ich weiß nicht, ob das nur mir so geht – vielleicht bin ich zu langsam, vielleicht bin ich zu ungeschickt – tatsächlich kostet die meiste Zeit das Arrangement.
Hätte ich Kontakte, würde ich jemanden beim Fraunhofer-Institut beauftragen einen Arrangementroboter zu bauen, sozusagen als Wiedergutmachung für das Erfinden des MP3-Formates.

Ich sitze also diszipliniert meine sechs Stunden am Tag im Studio, um die acht Tracks auszufeilen. Am Ende des Monats habe ich fünf brandneue Nummern und keinen einzigen von den alten auch nur im Ansatz arrangiert.

Es kommt immer alles anders als man denkt und ich selbst scheine keine Balance zwischen Planung und Spontanität herstellen zu können.
Ich nehme mir stets vor, Dinge zu beenden, doch manchmal höre ich mitten im …

Episode II: April–Juni 2013 
Episode III: Juli–September 2013
Episode IV: Oktober–Dezember 2013

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Foto Douglas Greed: Rene Buschner